Von der Magie eines Märtyrers
Graf Waltbert, ein Enkel des Sachsenherzogs Widukind, war ein kluger Stratege: Auf seine Veranlassung gelangten 850/51 die sterblichen Überreste des heiligen Alexander, eines qualvoll gelynchten Sohnes der heiligen Felicitas, von Rom nach Wildeshausen (damals noch: Wigaldinghus). Waltberts Coup ging auf: Die nun nahe der Hunte ruhenden Reliquien übten eine geradezu magische Anziehungskraft auf die Menschen aus, und so avancierte Wildeshausen zu einem begehrten Wallfahrtsort. Wirtschaftliche Blüte folgte und ganz nebenbei erfüllte sich ein weiteres Ziel – die Christianisierung wurde vorangetrieben. Zur Zeit der Reformation und Gegenreformation blieb auch die Alexanderkirche von der Dramatik der Ereignisse nicht verschont: siebenmal wechselte in dieser Zeit ihre Konfession! Die Reliquien gelangten 1698/99 nach Vechta, und die Alexanderkirche wurde schließlich die evangelische Pfarrkirche, die sie bis heute geblieben ist.
Vier Häuser für einen Heiligen?
So altehrwürdig die Alexanderkirche auch anmutet, sie ist nicht die erste ihrer Art. Mindestens zwei, möglicherweise sogar drei Kirchen gingen ihr voraus, denn schon vor der Überführung der Gebeine des heiligen Alexander hatte Waltbert an dieser Stelle ein geistliches Stift gegründet, und wahrscheinlich veranlasste er bereits zu diesem Zeitpunkt die Erbauung einer ersten Kirche. Schon in der zweiten Hälfte des 9. Jh. wurde sie vermutlich durch einen Neubau ersetzt, und ob dieser Kirche noch ein weiterer Neu- bzw. umfassender Umbau folgte, bevor man gegen Ende des 12. Jh. mit der Errichtung der heutigen Alexanderkirche begann, ist ungewiss.
Zeichen der Zeit: Romanik bis Jugendstil
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Alexanderkirche wiederholt erweitert und umgebaut, und das sieht man ihr auch an. Der älteste Teil der Kirche, der spätromanisch geprägte Westbau aus großen Granitquadern, entstand aller Wahrscheinlichkeit nach im ausgehenden 12. Jahrhundert. Ursprünglich umfasste er zwei Türme, die jedoch – das Entsetzen der Wildeshausener lässt sich ausmalen – in den Jahren 1214 und 1219 einstürzten! Also schickte man sich nur wenige Jahre später an, einen völlig neuen Grundriss zu entwickeln. Man wollte dabei einem großen Vorbild nacheifern – dem Osnabrücker Dom. Diese neue Basilika sollte moderner als ihre Vorgängerkirche sein und einen Granitquadersockel mit aufgemauertem Backstein erhalten. Zuerst widmete man sich der Errichtung des Langhauses, ab 1250 entstanden die Ostteile. Abschließend wurde der etwa 55 m hohe Westturm konstruiert. Seine Ecken wurden durch eine markante Quaderung strukturiert. Das aus Sandstein gebildete, rundbogige Westportal wurde vermutlich im zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts konzipiert.
Aus weiter Entfernung mutet die oberhalb des Westportals erkennbare Fensterrose (das durch Maßwerk untergliederte Rundfenster) mittelalterlich an. Bei näherer Betrachtung weist sie jedoch stark abstrahierte Züge auf, und tatsächlich wurde sie erst 1909 eingesetzt, ebenso wie das Maßwerk der südseitigen Fenster. Allerdings beschränkte man sich während der Restaurierungsarbeiten im frühen 20. Jh. nicht auf solche dezent historisierenden Maßnahmen. So erhielt die Alexanderkirche u.a. mit den Fenstern von Georg Karl Rohde und einigen, erst in den Jahren 2000/2001 wieder freigelegten Wandmalereien einige deutlich dem Jugendstil, und das heißt: dem damaligen Zeitgeschmack verpflichtete Elemente.
Die Innenausstattung
Im Inneren beeindruckt das fein gearbeitete Sakramentshaus aus der 1. Hälfte des 15. Jh., das der Aufbewahrung der Hostien, Kelche und anderer liturgischer Gefäße diente, sowie das erst in der 2. Hälfte des 20. Jh. wiederentdeckte, lebensgroße hölzerne Kreuz aus dem späten 14. Jh. Die wunderschönen Wandmalereien sind überwiegend dem 15. Jahrhundert zuzuordnen (u.a. eine Madonna mit Kind, die hl. Elisabeth und die hl. Katharina). An der Sakristei stieß man im Jahr 1954 auf einen legendären Fund: Unter einem Gemälde aus dem frühen 15. Jh. barg man eine weitere Gemäldeschicht mit Falkenjagdszenen. Sie ist in die Frühzeit der Kirche – auf die Zeit um 1270 – zu datieren!
Der Remter – Das älteste bewohnte Haus des Oldenburger Landes?
Ursprünglich schloss sich an die Alexanderkirche ein Kreuzgang an, der jedoch zu Beginn des 19. Jh. abgerissen wurde. Den südlich gelagerten, länglichen Feldsteinbau hingegen ließ man unbeschadet stehen. Es handelt sich hierbei vermutlich um das Kapitelhaus der Stiftsherren bzw. den Remter (Speisesaal). Jener Remter gilt als das älteste bewohnte Haus des Oldenburger Landes, allerdings herrscht hinsichtlich seines tatsächlichen Alters Uneinigkeit: Die einen glauben, er sei bereits vor dem Jahre 1000 entstanden, andere datieren ihn ins 12./13. Jh.
Adresse: Herrlichkeit 27793 Wildeshausen |
Öffnungszeiten: täglich 9.00 – 17.00, im Sommer 9.00 – 18.00 Uhr; Führungen täglich außer Dienstag nach vorheriger Absprache (Verkehrsverein Wildeshausen, Tel. 04431-6564) |
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Anreise: A 1, Abfahrt „Wildeshausen Nord“, B 213 Richtung Zentrum, geradeaus bis zum Beginn der verkehrsberuhigten Innenstadt, dann geradeaus in die Huntestraße, rechts abbiegen in die Kirchstraße | Öffentl. Verkehrsmittel (Fahrradmitnahme möglich): Nordwestbahn Osnabrück – Bremen, Bhf. Wildeshausen (ca. 0,5 km) | |||
Parkmöglichkeit: wenige Meter entfernt | Gastronomie/Hotellerie: zahlreiche Möglichkeiten innerhalb Wildeshausens |